Eine analoge Zugfahrt

Eine analoge Zugfahrt in der digitalen Welt

el. Makrell auf einer ungewöhnlichen Reise in Osteuropa

Interview und Fotos by Johannes Weber

Innsbruck, 07:45 Uhr. Ich stehe mit meinem vollgepackten Skibag und einem großen Rucksack auf den Schultern am Bahnhof und suche nervös nach meinem Interrail-Ticket. Es ist Winter. Gemeinsam mit meinen zwölf Freunden steige ich in einen Zug Richtung Osteuropa. Unser Ziel ist eine Skireise mit möglichst geringem CO2-Fußabdruck. Statt schnell und bequem mit dem Flugzeug, reisen wir mit dem Zug. Jeder weiß: Das dauert länger, nicht nur bei der Deutschen Bahn. Genau darauf lassen wir uns ein und starten in ein Abenteuer, mit insgesamt 4 Wochen im Gepäck. Mit dabei habe ich meine analoge Kamera, die auch die Art unseres Reisens widerspiegelt. Sie erfordert zwar mehr Zeit, doch nimmt man das Erlebnis intensiver wahr.

 
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Johannes (Jojo): „Tobi, du stehst hier mit Rosi und Ludwig am Drop-In dieses Quad-Kinks, umgeben von einem Haufen Menschen, inmitten Bosniens Hauptstadt Sarajevo! Erzähl nochmal kurz, was hier abging und was wir sonst so den Tag getrieben haben.“

Tobias: „Wir haben schon am Vorabend aus der Tram gesehen, dass da hinten zwischen den Ghettoblocks ein paar Geländer in der Gegend rumstehen, die sich womöglich perfekt als Rails eignen würden - wie eigentlich überall in Sarajevo. Egal in welche Richtung man sich bewegt, man findet Street-Spots in allen Variationen, die man sich so kaum zu erträumen traut. Wir sind also wieder zu den grauweißen Hochhäusern gefahren und mussten etliche, wunderschöne Double-Kinked-Rails links liegen lassen, um direkt an einer Schule drei nahezu perfekte Quad-Kinked-Rails zu finden. Unser Homie Magnus hätte jedes einzelne auf jeden Fall als „Gangsta“ bezeichnet, denn sie waren umgeben von schneefreien Treppenstufen, hatten einen holprigen In- oder Outrun und waren allesamt hoch genug, um Spiegeleier in den Hosen der Fahrer zu verursachen. Wir entschieden uns schließlich für das oberste Geländer mit angenehmen Bungee-Inrun, aber dafür mit 2 Meter Drop kurz nach dem Rail. Unsere Vorbereitungen am Spot lockten die bosnischen Schüler vom Pausenhof. Als es dann endlich losging, waren alle stoked, freuten sich über unsere Sticker und riefen während der Anfahrt: „El Makrell! El Makrell!“ Nach dem Quad-Kinked wurde gleich noch die anliegende Beton-Ledge geshootet, während ein Teil der Crew schon mal loszog, um den nächsten Spot zu schaufeln. Erst bei tiefer Finsternis packten wir an dem Tag unsere Sachen und verzogen uns aus den bei Dunkelheit doch recht angsteinflößenden Blocks.“

Eine klassische Szene zwischen Tür und Angel. Es geht am frühen Morgen raus aus Sarajevo und weiter in die nächste Stadt. Die versammelte Mannschaft steht etwas unkoordiniert, aber abholbereit vor unserem schicken Airbnb. Ein absoluter Glücksgriff, …

Eine klassische Szene zwischen Tür und Angel. Es geht am frühen Morgen raus aus Sarajevo und weiter in die nächste Stadt. Die versammelte Mannschaft steht etwas unkoordiniert, aber abholbereit vor unserem schicken Airbnb. Ein absoluter Glücksgriff, wahrscheinlich sauberer und luxuriöser als unsere WGs in Innsbruck. Erschreckend waren allerdings die Einschusslöcher an der Hausrückwand, stumme Zeugen des Bosnienkriegs. Ein Highlight: der Bäcker mit lokalen Spezialitäten direkt um die Ecke.

Jojo: „Jakob, wie viele Börek hast du gegessen und welcher ist dein persönlicher Favorit?“

Jakob: „Ich muss gestehen, dass mir vor unserem Trip Börek noch überhaupt kein Begriff war, weshalb ich in den zwei Wochen einiges nachzuholen hatte. Aber bei einer Überschlagsrechnung komme ich in etwa auf 20 Böreks. Bei der Börekwahl habe ich mich an einer einfachen Faustregel orientiert: „Ist die Tüte transparent, so ist der Börek exzellent.“
(Anmerkung: Den Börek bekommt man immer in einer Papiertüte, die je nach Fettgehalt des Böreks durchsichtig wird.) Mein persönlicher Favorit war trotz unseres Öko-Trips der mit Fleisch, wobei ich die Version mit Spinat und Käse auch jedem wärmstens ans Herz legen kann.“

Jojo: „Vinz, wie man unschwer erkennen kann, trägst du auf dem Bild schon deinen Gips am Oberarm. Was hattest du für ein Erlebnis in der Notaufnahme in Sarajevo?“

Vinz: „Also, bei einem Drop in der Nähe von Sarajevo bin ich eher unglücklich gefallen und mir war gleich klar, dass irgendwas ziemlich kaputt sein muss. Der Krankenwagen war dann auch erstaunlich schnell bei uns, gefüllt mit noch 3 anderen Verletzten. Im Krankenhaus durfte ich gleich zur nächsten Ärztin, welche kein Wort Englisch verstand, genauso wie die zuständige Krankenschwester. Nach langem Hin und Her und wildem Gestikulieren ging es irgendwann Richtung Röntgen. Dort erwartete mich schon ein etwas älterer Krankenpfleger. Auch er verstand wenig von dem, was ich zu sagen versuchte, was dazu führte, dass er meinen Arm einfach hochriss und unter dem Röntgengerät fixierte, bis die Aufnahme fertig war. Etwas mehr lädiert, aber mit perfektem Foto, wurde ich zum nächsten Arzt geschickt, bei dem auch schon Rosi, Lui und unser Taxifahrer/Dolmetscher auf mich warteten. Kurz und knapp: Der Arzt führte ein Gespräch mit unserem Taxifahrer. Er übersetzte: „Dein Oberarm ist kaputt, du musst operiert werden, aber sicher nicht hier! Der nächste Flieger geht morgen früh.“ Danach bekam ich dann noch einen schicken Gips und die Info, dass ich doch bitte noch zahlen sollte. Krankentransport, Untersuchung, Röntgen, Behandlung und Gips. Könnte etwas knapp werden! Also, wer hat kein Kartenlimit bei seiner Kreditkarte? – Natürlich Lui! Beim Check-out nahm ich dann mit großen Erwartungen eine Rechnung über ganze 60 BM, umgerechnet 35 Euro entgegen. Die hatte ich sogar noch bar in der Tasche! Das Röntgenbild schickte mir unser Taxifahrer am Abend per Whats-App.“

Jojo: „Moritz, was spülen deine Erinnerungen so an, wenn es um kuschelige Taxifahrten oder der Überquerung der serbisch-rumänischen Grenze geht?“

Moritz: „Leider konnten wir nicht jede Fahrt mit dem Zug abdecken. Also brauchten wir dreimal einen Minibus, um die Grenze zu überqueren, und einmal für die Fahrt in die Berge. Auch wenn wir den Taxifahrern erzählt haben, dass wir unglaublich viel Gepäck hätten und zehn Personen seien, waren die Karren fast immer zu klein. Daraus folgt: Tetris spielen. Die Skibags wurden ausgepackt, Ski komplett wild irgendwo durchgesteckt und meistens hatte man noch sämtliche Rucksäcke und Essensvorräte auf dem Schoss. Wenn man zu acht in einem Van sitzt, mit all dem Material, kommt man seinen Freunden teilweise ganz schön nahe. Das Highlight war aber die Fahrt von Belgrad zum nächsten rumänischen Bahnhof. Bis Sonntag 16 Uhr, war es ja eigentlich der Plan, nach Mazedonien zu fahren. Leider ging der Zug von Belgrad nach Skopje nur im Sommer und wir mussten gewaltig umplanen. Ziel wurde dann halt Rumänien und nicht Mazedonien. Da es keine direkte Zugverbindung zwischen Serbien und Rumänien gibt, musste uns jemand über die Grenze fahren. Nach ein paar Anrufen hatten wir jemanden gefunden. Die einzige Bedingung war: „Two people have to cross the border by foot“, weil nicht genügend Sitzplätze im Kleintransporter waren. Also stoppte er hundert Meter vor der Grenze, Rosi und Adrian stiegen aus und mit ein paar Euro Bestechung, die im Pass lagen, war‘s kein Problem und sie konnten kurz, nachdem wir in Rumänien waren, wieder einsteigen.“

Dieses Foto entstand in einem kleinen Dorf auf dem Weg nach Serbien. Unser Fahrer posiert mit Rosi, Lui, Tobi und Moritz vor seinem Auto. Bier wollte er nicht, „Davon wirst du nur dick!“. Er trinke lieber Wodka, aber nur pur! Fast alle unserer Taxif…

Dieses Foto entstand in einem kleinen Dorf auf dem Weg nach Serbien. Unser Fahrer posiert mit Rosi, Lui, Tobi und Moritz vor seinem Auto. Bier wollte er nicht, „Davon wirst du nur dick!“. Er trinke lieber Wodka, aber nur pur! Fast alle unserer Taxifahrer erwiesen sich während des gesamten Trips als super hilfsbereit. Trotzdem überschätzten sie sehr gerne das Volumen ihres Kofferraums, sobald es darum ging, unser ganzes Zeug unterzubringen.

Jojo: „Was hast du denen erzählt, Torge?“

Torge: „Nachdem wir es mit vielen Strapazen über die Grenze nach Rumänien geschafft hatten, fühlten wir uns zu allem in der Lage. Auf der nächtlichen Zugreise hatten wir genügend Zeit, uns eine Geschichte einfallen zu lassen, die uns gut dastehen liess. Diese hat dann so ziemlich jedes Hotel in Brasov per E-Mail von uns erhalten. Keine Stunde später bekamen wir vom Hotel Princess die Bestätigung, dass wir mit 9 Leuten kostenlos für 2 Nächte einchecken könnten. Jackpot! Im Gegenzug dafür hat Moritz die schönsten Hotelfotos der Welt geschossen, die ein paar Tage später direkt auf allen Buchungsportalen zu finden waren.“

 
Die komplette Crew ohne die Verletzten Magnus und Vinz, auf dem Hausberg von Brasov in Rumänien. Das Skigebiet heißt Poiana Brasov und ist in 20 Minuten mit dem Bus von der Stadt aus erreichbar. Dank Torges Kommunikationstalent und Moritz großer Kam…

Die komplette Crew ohne die Verletzten Magnus und Vinz, auf dem Hausberg von Brasov in Rumänien. Das Skigebiet heißt Poiana Brasov und ist in 20 Minuten mit dem Bus von der Stadt aus erreichbar. Dank Torges Kommunikationstalent und Moritz großer Kamera gab es für uns hier ein gratis Frühstücksbuffet und abends wohlverdiente Saunagänge.

Hier strahlen Lui und Moritz um die Wette, in ihren Händen die Kameras, mit denen der Film und viele geniale Fotos entstanden sind. Kreativ hinter der Kamera, Vollblut-Shredder davor.

Hier strahlen Lui und Moritz um die Wette, in ihren Händen die Kameras, mit denen der Film und viele geniale Fotos entstanden sind. Kreativ hinter der Kamera, Vollblut-Shredder davor.

Jojo: „Ludwig, wie war es für dich, die kompletten vier Wochen gleichzeitig filmen und auch fahren zu müssen/wollen? Was war das Nervigste an uns?“

Lui: „Es war eigentlich den ganzen Trip über so, dass das Filmen mindestens so viel Spaß gemacht hat. Die ganzen Bahnhofs- bzw. Zug-Ambientes sowie der Ostblock-Flair oder auch einfach die Crew am Spot haben immer ziemlich viel hergegeben. Dadurch hat’s mich eigentlich fast nie gestresst zu filmen anstatt zu fahren. Man muss auf jeden Fall erwähnen, dass eigentlich jeder aus der Crew an jedem Spot auch die Kamera in der Hand hatte. Ich bin so auf jeden Fall auch skifahrerisch auf meine Kosten gekommen. Am nervigsten war es am Abend, wenn alle gechillt haben und ich immer noch die ganzen Shots vom Tag gesichert hab. Außerdem musste ich schauen, dass alle Akkus geladen und man die am nächsten Tag dann auch im Rucksack waren und man sie nicht in der Wohnung im Ladegerät vergessen hat.“

Jojo: „Dein Skibag mit all dem Kamera-Equipment war höllisch schwer. Welche heißen Tipps hast du für zukünftige Ski-Interrailer?“

Lui: „Wichtigster Tipp wäre wohl, einen Skischuh zu haben, der auf beiden Skiern passt, anstatt wie ich zwei Paar über den Balkan zu schleppen. Ansonsten einfach großer Skibag mit funktionierenden Rollen, ausgefeilte Tragetechniken und auf die Kollegen ordentlich Stuff verteilen.“

Jojo: „Wo gab es deiner Meinung nach die besten Züge, mit genügend Platz für unsere Skibags und Taschen?“

Lui: „Das hing meistens davon ab, wie leer der Zug war. In Bosnien wars da schon sehr entspannt. Da hatten wir ein ganzes Abteil für uns und die Skibags passen dann immer ziemlich perfekt oben auf die Gepäckablage. Das gleiche funktioniert auch quer ziemlich gut in den abgetrennten 6-er Abteilen, die es oft gibt. In Österreich, aber auch in der Slowakei, konnten wir Gott sei Dank unseren ganzen Stuff in den Gepäckwagen packen.

Tobi, Zulli und Adrian vor einem traumhaften Hang in den rumänischen Karpaten. Das Skitouren- und Freeride-Gebiet Bâlea Lac ist nur mit einer kleinen und sehr alten Gondel erreichbar. Oben gibt es eine Hand voll kleiner Hütten, simpel, ganz ohne Air…

Tobi, Zulli und Adrian vor einem traumhaften Hang in den rumänischen Karpaten. Das Skitouren- und Freeride-Gebiet Bâlea Lac ist nur mit einer kleinen und sehr alten Gondel erreichbar. Oben gibt es eine Hand voll kleiner Hütten, simpel, ganz ohne Airbnb.

Jojo: „Für jemanden, der dort noch nicht war, wie würdest du Bâlea Lac in wenigen Worten beschreiben?“

Zulli: „ABSOLUT SEHENSWERT und wenn man grad in diesem Eck der Welt ist, nix wie hin!“

Jojo: „Wie vertreibt man sich die Zeit auf der Hütte nach dem Skifahren?“

Zulli: „Beim Hüttenwirt den Biervorrat, der leider begrenzt ist, aufkaufen und sippen!“

Auch dieses Foto entstand in Balea Lac, allerdings am ersten Tag. Ob der Partnerlook zwischen Rosi, Adrian und der Snowcat Zufall ist, erfahren wir wahrscheinlich nie.

Auch dieses Foto entstand in Balea Lac, allerdings am ersten Tag. Ob der Partnerlook zwischen Rosi, Adrian und der Snowcat Zufall ist, erfahren wir wahrscheinlich nie.

Aber drei Tipps sind auf jeden Fall:
#1 Abschalten - Nicht immer zuhören, was besprochen wird.
#2 Nen Flachmann in der Tasche
#3 Spaß haben
— Rosi

Jojo: „Wie hast du es 4 Tage auf einer Berghütte mit 8 Jungs und klassenfahrtähnlichen Zuständen ausgehalten? 3 wichtige Überlebenstipps?“

Rosi: „Mit viel rumänischem Tuica-Schnaps. Irgendwie häng ich beim Skifahren sehr viel mit Jungs ab. Deswegen bin ich bereits ziemlich abgehärtet und an Fürze, diverse Gesprächsthemen und anderes gewohnt.“

Jojo: „Skifahrerisch war diese Zeit sicher eines der Highlights. Würdest du einen Trip mit dem Zug genauso nochmals machen? Oder hast du in der Zwischenzeit bereits weitere Reisen mit dem Zug unternommen?

Rosi: „Balea Lac war definitiv das Highlight. Ich war super beeindruckt. Auch die ganze Reise mit dem Zug war oft entspannt. Manchmal war Spontanität und Organisationstalent vorausgesetzt, vor allem bei Grenzüberschreitungen zwischen den Ländern, da mussten wir oft auf ein Taxi umsteigen. Aber die Jungs sind super im Planen und es hat immer alles prima geklappt.

Also JA, eine Zugreise lohnt sich. Weil‘s so gut war und natürlich wegen der Umwelt, bin ich gleich im Mai nochmal mit der Bahn Richtung Schweden gefahren zur Kimbosession und danach weiter nach Riksgränsen. Zug-Trips sind einfach top: viel Platz, kein Stau, oft W-Lan zum Arbeiten, bequem, immer Kaffee, schöne Landschaften und vieles mehr.“

 
Wie in diesem Bild zu erkennen, verbrachten wir auch einige Zeit als Touristen in Städten wie Sarajevo, Bratislava, Brasov oder Belgrad, da man durch das Zugfahren immer wieder an größere Städte gebunden ist. Bereits bei der Planung der Reise war un…

Wie in diesem Bild zu erkennen, verbrachten wir auch einige Zeit als Touristen in Städten wie Sarajevo, Bratislava, Brasov oder Belgrad, da man durch das Zugfahren immer wieder an größere Städte gebunden ist. Bereits bei der Planung der Reise war uns jedoch bewusst, dass es sich dabei nicht um einen reinen Skitrip handeln würde. Gemeinsam neue Kulturen kennenlernen und nebenbei an Orten Skifahren, an denen es bisher von uns noch keiner getan hat. Das Ganze mit dem Versuch, unsere Umwelt weniger zu belasten. Eine tolle Erfahrung für uns alle.

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Ruedi Flück